Gossmann Einstein Besso
aus Einsteins Aufsatz „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ ( Spezielle Relativitätstheorie )
Albert Einstein und Michele Besso in Bern
Eine pointierte Sichtweise aus dem Bonner Generalanzeiger ( 2015 )
“… Ein Jahr später findet Einstein eine Anstellung als Vorprüfer im Berner Patentamt. Formal heißt das “Technischer Experte III. Klasse”. Er sichtet Anträge, vertieft sich in die Ideen anderer, bewilligt die nächste Prüfphase – oder lehnt ab. So sehr Einstein sozial und emotional ein “Einspänner” ist, so sehr ist er auch ein Kind seiner Zeit – und wo, wenn nicht im Patentamt, fokussieren sich die handfesten Probleme einer Epoche. Es geht Anfang des 20. Jahrhunderts häufig um elektromagnetisch gesteuerte Uhren.
In dieser Zeit ist die Zeit ein spezielles Problem. General Moltke beklagt im Reichstag, dass die verschiedenen Zeitzonen in deutschen Landen “eine nationale Schande” seien. Wie soll er militärische Operationen durchführen ohne eine einheitliche Zeit? Die Züge fahren, noch mehr als heute, wie sie wollen, denn die Erstellung eines Fahrplans . . . wie soll das gehen, wenn im Vorortzug eine andere Zeit gilt als im überregionalen Express und beide den Bahnhof kreuzen? Fast jede Stadt hat Ende des 19. Jahrhunderts (noch) ihre eigene Zeit. Dann wird die Erde verdrahtet, Telegrafenkabel durch die Ozeane gezogen, der Nullmeridian in Greenwich festgelegt, und die Menschen verlangen nach den neuesten Uhren – am liebsten mit Sekundenzeiger.
Mittendrin: Einstein. Nicht ganz: Als Habicht wegzieht, kompensiert Einstein diesen Verlust mit einem zerstreuten Amtskollegen. Michele Besso, ein interessierter Ingenieur, übertrifft sogar Einsteins Fähigkeit, sich großen Physikfragen mit kindlicher Naivität zu nähern. Beide haben den gleichen Weg vom Amt nach Hause: Tag für Tag diskutieren sie über Raum, Zeit, Energie, Masse, Licht, Strahlung. Alles Fragen, die für das Establishment durch die bestehenden Theorien längst beantwortet sind. Doch das sieht das universitätsferne Denkkollektiv Solovine, Einstein & Besso anders. Es stößt immer wieder auf Ungereimtes. “Wie kann man eigentlich die Gleichzeitigkeit von zwei voneinander entfernten Ereignissen feststellen?” – eine typische Besso-Frage im Frühjahr 1905. Am nächsten Morgen lacht Einstein Besso entgegen, vergisst vor lauter Überschwang den Morgengruß und sagt: “Danke dir, ich habe mein Problem vollständig gelöst!” Die Zeit könne nicht absolut definiert werden.
Das Heureka mit Besso, der sein lebenslanger Freund werden wird, scheint Einsteins Denkknoten zerschlagen zu haben. Seine bahnbrechende Arbeit “Zur Elektrodynamik bewegter Körper” (Spezielle Relativitätstheorie) nennt keine Literaturquellen, nur eine Danksagung an Besso. Auch an Einsteins nächster Revolution 1915 ist Besso beteiligt, zumindest mit seinen naiven Fragen. Er stirbt 1955 einen Monat vor Einstein. Der schreibt den Angehörigen: “Nun ist er mir auch mit dem Abschied von dieser sonderbaren Welt ein wenig vorausgegangen. Dies bedeutet nichts. Für uns gläubige Physiker hat die Scheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur die Bedeutung einer wenn auch hartnäckigen Illusion. “
100 Jahre Raumzeit: Einstein und die Folgen | General-Anz… http://www.general-anzeiger-bonn.de/news/wissen-und-bi…
Foto der “Akademie Olympia”, der im Jahre 1905 auch Michele Besso angehörte.
Einstein in Bern – Ein Abriss seines Lebens
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Einstein-in-Bern-8.-Juni-2005 für website
Albert Einsteins Schweizer Wunderjahr
Gute Arbeitsbedingungen, als «Resonanzboden» kluge Freunde: Einstein machte 1905 drei grosse Entdeckungen in der Schweiz.
Es war ein in der Fachwelt unbekannter Wissenschaftler, der innerhalb weniger Monate das Weltbild der Physik aus den Angeln hob. Dabei gehörte der damals 26-jährige Familienvater nicht etwa einer renommierten Universität an, sondern arbeitete Vollzeit als technischer Experte III. Klasse am Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum in Bern. Gleich drei bedeutende Arbeiten legte der junge, aus Ulm stammende Physiker Albert Einstein in diesem «Wunderjahr» 1905 vor.
Vieles deutet darauf hin, dass Einstein in der Schweiz Rahmenbedingungen vorfand, die seiner kreativen Schaffenskraft förderlich waren. Schon in der Schulzeit habe Einstein die Schweiz lieben gelernt, sagt der Einstein-Experte Tilman Sauer von der Universität Mainz. Nachdem die Familie von Deutschland nach Italien gezogen war, blieb Einstein zunächst in München, wo er das Luitpold-Gymnasium besuchte. Doch bald schon schmiss er die Schule hin, ging vorübergehend nach Italien und kam über Zürich nach Aarau. Im Oktober 1895 trat Einstein dort in die Kantonsschule ein.
Es begann eine gute Zeit. Wie er in seinen Memoiren festhielt, hat diese Schule «durch ihren liberalen Geist und durch den schlichten Ernst der auf keinerlei äusserlichen Autorität sich stützenden Lehrer einen unvergesslichen Eindruck in mir hinterlassen». Die Erziehung zur Selbstverantwortlichkeit empfand er dem Drill, den er von Deutschland her kannte, als weit überlegen.
Brillante Matura
Während seiner Aargauer Schulzeit wohnte Einstein in der Pension Rössligut der Familie Winteler. Bald redete er das Ehepaar mit «Papa» und «Mama» an. Und er verguckte sich in eine der Töchter. «Ein wichtiger Grund für das Wohlbefinden des Maturanden Einstein war zweifellos seine Liebe zu Marie Winteler», schreibt Alexis Schwarzenbach in «Das verschmähte Genie. Albert Einstein und die Schweiz». Bei der Matura brillierte Einstein in den naturwissenschaftlichen Fächern. In Algebra und Geometrie erreichte er eine glatte 6, in Physik eine 5–6. Nun konnte Einstein wie gewünscht am Zürcher Polytechnikum, heute ETH Zürich, Physik studieren. Dort lernte er mit der Studienkollegin Mileva Maric seine spätere Frau kennen.
Nach dem Studium folgte eine schwierige Phase. Einstein konnte partout keine Assistenzstelle ergattern. Er musste sich vorübergehend als Privatlehrer durchschlagen. Erst gut zwei Jahre später, im Juni 1902, entspannte sich die Situation dank der Anstellung am Patentamt in Bern. Die Arbeit gefiel ihm gut. Und mit Michele Besso kam bald ein Freund ans Patentamt, mit dem er sich über seine physikalischen Ideen austauschen konnte. Im Rückblick sagte er über Besso: «Einen besseren Resonanzboden hätte ich in ganz Europa nicht finden können.»
Nach einem gewöhnlichen Arbeitstag war Einstein nicht etwa ausgepumpt und matt, sondern geistig noch frisch genug für die Wissenschaft und für das Vergnügen. Im «Wunderjahr» schrieb er an seinen Freund Conrad Habicht: «Bedenken Sie, dass es im Tag neben den acht Stunden Arbeit noch acht Stunden Allotria und noch einen Sonntag gibt.»
Die eigene Schrift als «sehr revolutionär» gepriesen
Am 18. März 1905 ging bei der Fachzeitschrift «Annalen der Physik» in Berlin eine von Einstein selbst als «sehr revolutionär» angepriesene Arbeit ein. Darin postuliert er, Licht sei nicht nur wie bisher angenommen eine Welle, sondern bestehe zugleich aus sogenannten Lichtquanten (Photonen). Damit legte Einstein eine wichtige Grundlage für die Theorie der Quantenmechanik.
Die zweite bedeutende Studie erreichte die «Annalen der Physik» am 11. Mai. Darin erklärte Einstein den willkürlichen Zickzackkurs von kleinen Staubteilchen in Gasen und Flüssigkeiten mit Stössen, die Flüssigkeits- oder Gasmoleküle aufgrund ihrer Wärmebewegung auf die Staubteilchen ausüben. Damit wurde Einstein zu einem Mitbegründer der statistischen Mechanik.
Rund sieben Wochen später schickte er die nächste Arbeit an die «Annalen der Physik». Sie trägt den unscheinbaren Titel «Zur Elektrodynamik bewegter Körper» und enthält das, was heute als Spezielle Relativitätstheorie bekannt ist. Mit ihr widersprach Einstein der Existenz eines das ganze Weltall durchdringenden Äthers, revolutionierte die Vorstellung von Raum und Zeit und postulierte die Lichtgeschwindigkeit als absolute Geschwindigkeitsgrenze.
E=mc² war bloss eine Fussnote
Quasi nebenbei reichte Einstein im Juli 1905 an der Universität Zürich seine Dissertation ein. Sie thematisiert einen Beleg für die Existenz von Atomen. Kurz darauf lieferte er in einer Art Fussnote zur Speziellen Relativitätstheorie auch noch die bekannte Gleichung E=mc² ab. Sie beschreibt, welch enorme Energie in der Materie steckt – eine Erkenntnis, die später mit der Explosion der Atombombe äusserst plastisch wurde.
Nach einer Zwischenstation in Prag folgte Einstein im Sommer 1912 einem Ruf an die ETH Zürich. «Nun kann ich bald wieder meine Bude in Zürich aufschlagen, zu meiner grossen Freude», schrieb er noch aus Prag an Carl Schröter, den Präsidenten der Naturforschenden Gesellschaft Zürich. Und: «Seit ich hier bin, weiss ich die einfachen und gesunden Gewohnheiten und Sitten der Schweizer erst recht zu schätzen.»
Revolution von Raum und Zeit
Als Professor an der ETH Zürich entwickelte Einstein spätestens im Frühjahr 1913 die Grundlagen für die Allgemeine Relativitätstheorie (ART), einer Theorie der Gravitation, welche die herkömmliche Vorstellung von Raum und Zeit noch gründlicher revidierte. Die dabei benötigte mathematische Unterstützung fand er beim einstigen Studienfreund Marcel Grossmann, mittlerweile Professor für Mathematik an der ETH Zürich: «Grossmann, du musst mir helfen, sonst werd’ ich verrückt.»
Und Grossmann half. Er wies Einstein auf die geeigneten mathematischen Techniken hin, mit denen er seine Ideen von Raum, Zeit und Materie in Formeln giessen konnte. Abschliessen konnte Einstein die ART aufgrund einiger Irrwege allerdings erst 1915 nach seinem Ruf an die Preussische Akademie der Wissenschaften in Berlin. Die ART gilt als eine der grössten Meisterleistungen der Wissenschaftsgeschichte. Spätestens nach deren Bestätigung durch den britischen Astrophysiker Sir Arthur Eddington im November 1919 war der namenlose Patentbeamte zu einem der renommiertesten Physiker der Welt geworden – einem Popstar der Wissenschaft.
(Tages-Anzeiger) Autor: Joachim Laukenmann